Andre Jenö Raatzsch . Alfred Ullrich
Mit VIDEO.ART.ACTIVISM. präsentiert die Galerie KAI DIKHAS einen Überblick aktueller künstlerischer Medienkunstpositionen zwischen Performance-Dokumentation (Alfred Ullrich), Video-Kunst (Delaine Le Bas, Andras Kallai & André Jenö Raatzsch) und politischem Kunst-Aktivismus (Tamara Moyzes).
Videokunst ist aus der Demokratisierung der technischen Möglichkeiten des Filmemachens entstanden. Mal abstrakt, mal als Dokument flüchtiger, performativer Aktionen hat sie sich zu einem eigenständigen Medium entwickelt, welches sich auch die Künstler der Sinti und Roma zu Eigen machen. Videokunst dramatisiert das Alltägliche, ästhetisiert oder dämonisiert das scheinbar Banale, hält den flüchtigen Moment für immer fest. Nichtgreifbares wird fassbar, das eigentlich Unwiederholbare beliebig repetierbar. Privates wird zur Kunst erhoben, politische Aktion erfährt durch die Aufzeichnung eine Grenzerweiterung, die das rein dokumentarische übersteigt, das Aussagefeld erweitert und Gültigkeit und Dringlichkeit über den Augenblick hinaus zementiert. Der Blick der Kamera kann ein voyeuristisch-intimer oder auch ein beobachtend-distanzierter sein und bestimmt so die Perspektive des Rezipienten mit.
Die präsentierten Werke zeigen also sowohl die Vielfalt der zeitgenössischen Kunst der Minderheit, als auch die Vielfalt des Mediums selbst. Sie zeigen aber auch, wie sehr Kunst mit politischem Aktivismus verschmelzen kann, ja muss, wie politische Aktion schließlich selbst zu Kunst wird und ihren Geltungsbereich so erweitert. Die Künstler der Ausstellung gehen mit den Möglichkeiten der Videokunst auf unterschiedlichste Weise um – dokumentarisch wie Tamara Moyzes, symbolistisch wie Delaine le Bas, oder abgründig-charmant wie Alfred Ullrich. Allen gemein ist eine mal mehr mal weniger implizite Auseinandersetzung mit Stereotypen, mit Klischees und konventionalisierten Bildern, welche sie sich mittels Videokunst auf vielfältige und zugespitzte Art und Weise zu eigen machen – sei es in radikaler Kritik und Verweigerung, als auch in individueller Aneignung oder expressiver Überbetonung.
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Als jüdische, in der Slowakei geborene und in Prag lebende Roma weiß Tamara Moyzes um das Gefühl des exkludiert-werdens, des immer wieder Fremd-Seins, der transnationalen, festgewachsenen Vorurteile – und der Perspektiven, die sich aus dieser Außenposition ergeben. Sie stellt oft sich selbst in das Zentrum ihrer Arbeiten. Bei Moyzes prallen divergierende Welten bitter-komisch aufeinander (INTEG(R)ACE 2011). Es scheint, als ziehe sie ein Vergnügen aus dem Aufenthalt und der Auslotung von Grenzbereichen, dem Beben, wenn sie die verschiedene, sich gegenseitig widerspreche Realitäten aufeinanderprallen lässt. In MAMKO MOJA / FOLK SONG (2011) wird die Kamera zum reinen Aufzeichnungsinstrument, das kommentiert, indem es eben nicht kommentiert. Die Arbeit hat slowakische und tschechische Volkslieder mit rassistischem Hintergrund - und beschwingter Melodie zum Inhalt. Romakinder einer Segregationsschule in Předlice singen gemeinsam ein antiziganistisches Volkslied, das zum schulischen Standartrepertoire gehört. Der rassistisch-kontroverse Text wird als selbstverständlich genommen, nicht weiter erklärt – statt dessen verlässt Moyzes sich erfolgreich auf die unbezwingbare Wirkung der schieren Abbildung.
Andre Jenö Raatzsch (Ungarn)
ist KĂĽnstler und Kulturwissenschaftler, Kunst- und Kulturvermittler mit dem Lebensmittelpunkt Berlin. Er hat an zahlreichen internationalen Ausstellungen, unter anderem dem ersten Roma-Pavillon PARADISE LOST in Venedig 2007 teilgenommen. Raatzsch arbeitet bevorzugt im Feld der kulturellen Vermittlung und interessiert sich fĂĽr Aufgabe und Rolle der Kunst in emanzipatorischen Entwicklungen und ist Ko-Autor des zweiten Kataloges der Galerie Kai Dikhas ORTE DES SEHENS 2. Raatzsch experimentiert mit den technischen Anfängen des Mediums: Sein (Digital-)Film zeigt eine Textil-Rolle aus aneinander gemalten Bildern. Dieser „Film“ wird zwischen den Betrachtern sichtbar, indem der eine die Rolle hält und der Andere ihn abwickelt. Es entsteht das bewegte Bild - die Vorstufe des Films. Doch während Raatzsch mit seiner kleinen Textil-Skulptur eine Verbindung zwischen den Betrachtern herstellt, zeigt die sichtbare Bildfolge dann Assoziationen des gegenteiligen Vorgangs: Das Schweigen einer Trennung, eine einsame grĂĽne Figur, die auf der StraĂźe liegt, schlieĂźlich anonyme FĂĽĂźe einer FuĂźgängerzone, eine Art Grab.Â
Andre Jenö Raatzsch . Alfred Ullrich
22. Februar bis 12. April 2013.