Matthias Koch und Moritz Pankok
im Interview
Zur Gründung der Galerie Kai Dikhas
20. April 2011
Wie kam es zur Gründung der ersten Roma- und Sinti- Galerie in Deutschland? Matthias Koch: Die Sinti und Roma sind leider immer noch beson- derer Diskriminierung ausgesetzt. Es ist geradezu überraschend, wie sehr sich rassistische Stereotypen festgesetzt haben. Projekte, die sich mit der Kultur der Sinti und Roma beschäftigen, sind selten kontinuierlich ausgerichtet. Eine Nachhaltigkeit in der Arbeit zu er- reichen fällt schwer. Genau hier setzt unsere Galerie mit ihrer konti- nuierlichen Ausstellungsarbeit an. Aus Mülheim an der Ruhr ist mir noch gut die Arbeit des Roma-Theaters Pralipe in Erinnerung, wel- ches leider hat schließen müssen. Das Gebiet der Kultur der Sinti und Roma ist ein sehr spezielles Gebiet, welches in der Kulturstadt Berlin noch nicht eine ausreichende Stimme gefunden hat - das wollen wir ändern.

Was bedeutet der Name der Galerie Kai Dikhas?
Moritz Pankok: Einen Namen für die Galerie zu finden, war nicht unbedingt einfach. Der Begriff Galerie ist – wie im Deutschen – ein Fremdwort in der Sprache der Sinti und Roma, dem Romanes. Die- se alte Kultursprache hat sich aus dem Altindischen Sanskrit ge- formt. Aufgrund der unterschiedlichen Heimatländer der Roma Eu- ropas haben sich jedoch sehr verschiedene Dialekte des Romanes entwickelt. Wir haben nach einem Begriff gesucht, welcher in allen Ländern Europas verstanden werden sollte und ein originärer Ro- manes-Begriff ist. Letztendlich hilfreich war der Hinweis von Prof. Thomas Acton aus Greenwich, der die Sprache spricht und ihre Wurzeln erforscht. „Kai“ heißt genau genommen „wo“, „dikhas“ - „du siehst“ – das übersetzen wir frei mit „Ort des Sehens“.

Wieso hat die Galerie einen Kreis mit Punkt als Logo?
Matthias Koch: Dieses Zeichen hat historische Wurzeln. Zu einer Zeit, als die deutschen Sinti noch Fahrende waren, gab es eine Art Graffiti-Zeichensprache, mit der sie sich untereinander verständig- ten. Die Fahrenden bedeuteten sich, was an einem Ort zu erwarten war. Ein Zeichen konnte heißen „Hier wird der Roma des Diebstahls verdächtigt“, „Hier kann man wahrsagen“ oder „Hier geben sie nichts“. Assoziativ kann das Logo der Galerie als Iris verstanden werden oder als eine Art Wagenrad, das ja eines der Nationalsym- bole der Roma ist. In Wirklichkeit bedeutet unser Zeichen aber „Hier sind sehr gute Leute“ und das sollte unser Anspruch an die Galerie sein.

Was steht bei der Auswahl der Künstler im Mittelpunkt?
Moritz Pankok: Uns interessieren Künstler_innen, die eine individu- elle Geschichte erzählen, die uns berühren, auch die ihre Herkunft thematisieren und vor allem aber: die uns mit ihrer künstlerischen Qualität überzeugen. Das können sowohl etablierte Künstlerpersön- lichkeiten, aber auch junge Künster_innen sein. Wir haben uns nicht auf eine bestimmte Kunstform spezialisiert. Das und die oft interna- tionale Herkunft unserer Künstler_innen wird unser Programm sehr lebendig und abwechselungsreich gestalten. Durch die Verbindung mit dem Musiklabel Asphalt Tango Records wollen wir die freie Kunst der Roma-Minderheit in den Kontext mit bereits bekannteren Ausdrucks- möglichkeiten ihrer Kultur setzen.

Was ist das Besondere an Roma- und Sinti-Künstlern?
Moritz Pankok: Das ist schwer zu definieren, weil gerade Künst- ler_innen sehr individuelle Menschen sind, die uns mit ihren immer wieder unterschiedlichen Entwürfen überraschen. Ich denke, dass wird auch bei den Künstler_innen der Galerie Kai Dikhas so sein. Die Künstler_innen der Ro- ma-Minderheit beziehen sich heute oft mit einem neuen Selbstbewusstsein auf ihre eigene Kultur. Sie do- kumentieren die Ausgrenzung ihres Volkes, richten einen Blick vom Rand auf uns – die Nicht- Roma – und das ist interessant. Manche Künstler_innen finden eine besondere Inspirationsquelle in der ei- genen Familie, die in der Roma-Minderheit einen zentralen Stellen- wert inne hat, aber auch in der Natur und oft im Handwerk. Die Ro- ma-Künstler_innen verwenden heute jedoch alle Medien, die auch anderen Künstler_innen zur Verfügung stehen. Es ist zu hoffen, dass eines Tages, wenn die Diskriminierung der Minderheit ein En- de hat, sich auch die spezifische Ausrichtung der Galerie Kai Dik- has als Galerie der größten Minderheit der Welt, der Roma, überlebt haben wird. Das ist unser Ziel.

Annette Kusche
Leitung Kommunikation Aufbau Haus

Matthias Koch ist Eigentümer des Aufbau Verlags sowie Initiator des Aufbau Hauses und der Galerie Kai Dikhas. Moritz Pankok ist Künstlerischer Leiter der Galerie.
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