Alfred Ullrich
Grafiker, Video- und Aktionskünstler

*1948 Schwabmünchen/Bayern
Kindheit/Schulzeit Wien

1965–68 Freie Mitarbeit Klub Subkultur, Wien
1969–78 Europareisen
1978–81 Freie Mitarbeit "Werkstatt für manuelle Druckverfahren", München
seit 1980 Atelier/Landkreis Dachau

„Ich arbeite mit und gegen das Material, was sich eigentlich auch übersetzen lässt für meine künstlerische Arbeit – ich arbeite mit und gegen die Gesellschaft, um herauszufinden, in welchem Verhältnis sich die Gesellschaft zu den Sinti und Roma heute befindet."

Alfred Ullrich

Alfred Ullrich wuchs in Wien auf und lebt heute im Dachauer Land. Er ist der Sohn eines Deutschen und einer österreichischen Sintezza. Als solcher fühlt er sich als Außenseiter unter Außenseitern. Seine vielfältigen Arbeiten kreisen um die Frage, in welchem Verhältnis sich die (deutsche) Gesellschaft zu den Sinti und Roma befindet. Seine Erfahrung dabei: Ohne Provokation ist es schwer, Stellungsnahmen zu erwirken. Also zwingt er provokant, aber auch immer bitter-charmant, den Betrachter Position zu beziehen. Ullrich versucht aber nicht nur, die jahrhundertelang tradierten und im kollektiven Unterbewusstsein der Gesellschaft festsitzenden Vorurteile der Gesellschaft aufzulösen, zum Nachdenken und Anders-machen zu animieren, sondern er verarbeitet auch seine eigene Familiengeschichte: Alfred Ullrichs gesamte Familie wurde in Konzentrationslager verschleppt und die meisten von ihnen kamen dort ums Leben. Seine Mutter war in mehreren Lagern und verlor dort Eltern, zwölf Geschwister und ihren ersten Sohn. Sie überlebte die Gefangenschaft, aber die Traumatisierungen prägten auch ihren Sohn Alfred: Themen wie Schmerz, Tod und Verletzlichkeit sind somit naturgemäßer Teil seiner Arbeiten.

Ullrichs Aufwachsen selbst war "exotisch" und scheint dem Klischee vom "lustigen Zigeunerleben" durchaus zu entsprechen. Die ersten neun Lebensjahre verbrachte er in einem Planwagen am nördlichen Stadtrand Wiens. Nach Beendigung seiner Schulzeit bereiste er drei Jahre ganz Europa, bis er schließlich 1971 in München landete, wo er als Bühnenarbeiter und in einer Werkstatt für manuelle Druckverfahren arbeitete. Ullrichs (Druck-) Arbeiten leben im reizvollen Spannungsfeld zwischen Schönem und Groben, zwischen Anmut und Provokation. Seine Druck-Kunst scheint sich auf den ersten Blick nicht mit seiner Herkunft zu beschäftigen; er setzt dort die Mittel des Druckhandwerks auf experimentelle Weise ein und schafft abstraktere Formationen. Er bevorzugt die Kaltnadelradierung, eine komplizierte Technik, die Präzision und Konzentration verlangt. Das Ergebnis sind zarte, zumeist abstrakte Bilder, die das Verfahren des Drucks selbst aufzeigen und das Gegenständliche auflösen. Betrachtet man die Arbeiten genauer, wird seine Spielfreude deutlich und Widersprüche erkennbar: die Strukturen bilden eine vielfältige Oberfläche, auf der Formen und Farben widerstreitende Wechselspiele eingehen. Bei den gedruckten Formen handelt es sich um Spuren physischer Zerstörung der Druckplatten, sei es durch Ätzungen oder Walzungen der Platten selbst oder etwa durch Abdrücke von in performativen Aktionen zerstochenen Bierdosen.

Um deutliche politische Zeichen zu setzen, verlässt sich Alfred Ullrich nicht mehr nur auf seine Druckkunst allein, sondern tritt auch mehr und mehr als Aktionskünstler in Erscheinung. Seine erste Kunst-Aktion die auf Video und in einer Fotodokumentation festgehalten wurde, heißt PERLEN VOR DIE SÄUE und ist aus dem Jahr 2001. Auf einem Bild, das im Zuge der Aktion entstand, befindet sich Ullrich vor einem Gatter, aus seiner geöffneten Hand fallen Perlen auf den Boden. Der Ort selbst ist nicht irgendeiner: Auf dem Gelände, an dessen Eingang er steht, befand sich das Konzentrationslager Lety. 1994 wurde die Geschichte dieses Lagers und der Ermordung von Roma und Sinti erstmals veröffentlicht. Die Publikation geriet zum Skandal, weil das Lager als Schweinemastbetrieb diente. Diese Aktion wurde Ullrichs Beitrag für den ersten Roma-Pavillon in Venedig 2007, er dokumentierte die Aktion PERLEN VOR DIE SÄUE fotografisch.

Alfred Ullrich ist ein wacher Beobachter und hinterfragt subtil-humorvoll althergebrachte Sicht- und Verhaltensweisen. Vor allem in Sprache und Bildern findet er oft eine unbedachte Diskriminierung des Exotisch-Fremden. Im Jahre 2006 prangerte er in TRANSIDENTIES die Verhältnisse der öffentlichen Toiletten am ehemaligen Landfahrerplatz in der Nähe von Dachau an: Also macht Ullrich Fotos und dreht ein Video – und siehe da, die Toiletten verschwinden über Nacht, zurück bleibt ein Dixi-Klo. Fünf Jahre später verschwindet dann auf sein Betreiben auch das Schild mit der Aufschrift "Landfahrerplatz kein Gewerbe". Denn "dieses Wort 'Landfahrer' war zur NS-Zeit in Gebrauch und ist ein Synonym für Zigeuner, und das lehnen wir als diskriminierend ab. Und daraufhin habe ich versucht, die Stadt Dachau darüber zu informieren. Es gelang mir nicht auf Anhieb, da wirklich Gehör zu finden."

Alfred Ullrich ist auch mit Druckgrafiken in der EDITION GALERIE KAI DIKHAS vertreten.

EINZELAUSSTELLUNGEN (Auswahl)

2018
Kunst im Forum, Dachauer Forum, Dachau

2016
ROLLING HOME, Galerie Kai Dikhas, Berlin

2014       
BLACKOUT* Greyout Whiteout Braunau(t) Apartment der Kunst, München
BLACKOUT Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, Heidelberg
BLACKOUT. GUGGUG, Galerie Kai Dikhas, Berlin

2011       
TRANSIDENTITIES III Galerie Kai Dikhas, Berlin

2009       
roll-on · roll-off, A41 Galerie im Hof/Wien
TRANSIDENTITIES zentrum edition exil, Wien

2008
     
Illustrationen "DIE URSITORY" Matéo Maximoff, Haus der Minderheiten/Prag,
WORLD ROMA FESTIVAL KHAMORO

2006     
„Sechs mal Nix auf drei Teller“, Muzeum Romské Kultury/Brno
TRANSIDENTITIES/Neue Galerie Dachau

2003
Rahmen los...!/KVD Dachau

2002      
„FarbenFormStruktur“ mit C. Sattler-Nefzger/Wasserturm Dachau

2000      
PEARLS BEVOR SWINE/Lety, Performance
„Twenty Years of Lyrical Abstractions“, T.W. Wood Gallery/Vermont

1999     
„FarbenFormenStrukturen/KVD/Dachau, HAVANNA LOUNGE/Wien

1997     
„X“, Franziskuswerk/Schönbrunn

1996
Künstlerhaus/Ivano-Frankivsk

1995
Berliner Stadtbibliothek/Berlin Mitte; Kunstmuseum/Ivano-Frankivsk

1993
KVD/Dachau mit G. Gottschalk und H. Müller-Cejka; Artothek Treptow/Berlin

1988

GRAFIKA mit N. Kiening, Diözesanmuseum/Katowice

1987

ATAVISMS mit L. Pichl und W. Wires, Galerie piek+fein/Berlin

1985/86

Kleine Galerie Junge Kunst/Waldkraiburg

1984

Kulturzentrum Zeche-Carl/Essen

GRUPPENAUSSTELLUNGEN (Auswahl)

2018
Errichtung temporäres Mahnmal mit Delaine Le Bas, Festival E Bistarde/Vergissmeinnicht, Wien

2018
ARAKHELPE - BEGEGNUNGEN, Galerie Kai Dikhas, Berlin

2018
Wo mein Hut hängt. Zuhause zwischen den Kulture, Neue Galerie Dachau
 
2017
STOPPING PLACES VI, Galerie Kai Dikhas, Berlin

2017
Akathe te beshen - Here We Stay, Galerie Kai Dikhas, Gallery of Czech Centers, Prag

2015
Carte blanche mit Konrad Dördelmann, Kunstverein Schrobenhausen
TRANSMITTING TRAUMA?, Galerie Kai Dikhas, Berlin
20 Jahre Kulturhaus Eschenried
STOPPING PLACES V, Galerie Kai Dikhas, Berlin
Selfie, Mitgliederausstellung der KVD, Dachau

2014
Akathe Te Beshen – Hier um zu bleiben, Galerie Kai Dikhas, Kunststation Kleinsassen
Kathe Ham Mer Kheri - Hier sind wir zu Hause, Galerie Kai Dikhas, Staatsgalerie Stuttgart
Mitgliederausstellung der KVD, Dachau
STOPPING PLACES IV, Galerie Kai Dikhas, Berlin

2013
NEULAND, Apartment der Kunst, München
ROMANI LIVES, Kunsthalle Exnergasse (WUK), Wien
Ministry of Education warns: Segregation seriously harms you and those around you, Prague, CZ
Story of the ‘site for traveling persons’, Dachau”
STOPPING PLACES III, Galerie Kai Dikhas, Berlin

2012

What`s in a Frame?, www.3 stations.de, Muenchen
the killer rabbit ranch rodeo, Nationalmuseum in Berlin und Studio Norrmann in Biberbach/Röhrmoos
showrom - Stimmen der Roma, Volkshochschule Muenchen in Zusammenarbeit mit verschiedenen europäischen Kulturinstituten
STOPPING PLACES II, Galerie Kai Dikhas, Berlin
Mitgliederausstellung der KVD, Dachau

2011

EuroArt, Zeitgenössische Künstler der Dachauer Künstlerkolonie, Pesterzsébeti Múzeum, Budapest/Ungarn
Gadschi, Roma, Sinti, Manouches, … - Positionen zwischen Ausgrenzung und Akzeptanz, KVD Galerie/Dachau
roma protocol, Parlament Wien
Khamoro, Prag
Call the witness, 2nd Roma Pavilion, Utrecht,
Call the witness, 2nd Roma Pavilion, 54. Esposizione Internazionale dàrte la Biennale di Venezia
STOPPING PLACES, Galerie Kai Dikhas, Berlin
Mitgliederausstellung der KVD, Dachau

2010

Love and Friendship in the Nuclear Age, Galerie Dana Charkasi, Wien
ROMALE! 10, Kunstraum Next Andrä, Graz
INSIDE, OUTSSIDE and the Spaces In Between.
EuroArt, Zeitgenössische Künstler der Dachauer Künstlerkolonie, Szentendre/Ungarn

2009

DIE AQUARELLIS, KVD/Dachau

2007

RAINBOW SOLDIER, LIQUID HEART,
Stadtturm Galerie/Innsbruck

2005
POST FÜR DACHAU
AK 68, Wasserburg/Inn

2003
AK 68, Wasserburg/Inn

2001
Haus der Kunst/München

1999
OSNAKA99, Ivano-Frankivsk

1995
IMPREZA (Honorable Medal), Ivano-Frankivsk